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GRUSSWORT DES PRÄSIDENTEN DERWORLD
ASSOCIATION FOR INFANT MENTAL HEALTH
Auf dem XXXV. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und
Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Ulm wird erst-
mals ein thematischer Schwerpunkt in Zusammenarbeit mit der World
Association for Infant Mental Health (WAIMH) gestaltet.
Die WAIMH ist eine internationale Vereinigung von Wissenschaftlern
und Klinikern, die sich zur Aufgabe gemacht haben, die seelische Ge-
sundheit von Säuglingen, Klein- und Vorschulkindern zu fördern und
dabei spezifisch kulturelle, regionale und soziale Aspekte besonders zu
berücksichtigen. Die WAIMH setzt sich aus 58 Tochtergesellschaften aus
allen Kontinenten zusammen. Hierzu gehört auch die deutschsprachige
Tochtergesellschaft GAIMH mit Mitgliedern aus der Schweiz, Österreich
und Deutschland. Es ist mir eine besondere Ehre, dass ich an unserem
2016-er Kongress in Prag als erster Deutscher und langjähriges Mitglied
der DGKJP für 4 Jahre die Präsidentschaft dieser Vereinigung überneh-
men durfte.
Es freut mich, dass es anlässlich des Ulmer Kongresses der DGKJP gelun-
gen ist, eine strategisch bedeutsame Kooperation zwischen der WAIMH
und der DGKJP zu formen. Das Motto des Kongresses „Dazugehören –
bessere Teilhabe für traumatisierte und psychisch belastete Kinder und
Jugendliche“ hat in Bezug auf die frühe Kindheit eine große Bedeutung.
Überwältigende wissenschaftliche Evidenz belegt, dass psychische Trau-
matisierungen und Belastungen während der ersten Lebensjahre einen
für den gesamten Lebenszyklus bedeutsamen Risikofaktor darstellen,
den es zu beachten und frühzeitig präventiv und therapeutisch anzu-
gehen gilt. Was liegt näher, als angesichts der Tatsache, dass weltweit
insbesondere Säuglinge und Kleinkinder von belasteten Lebensumstän-
den (wie z. B. ein Aufwachsen unter Bedingungen von Flucht und Hei-
matlosigkeit) betroffen sind, unsere diagnostischen und therapeutischen
Möglichkeiten im Hinblick auf diese Altersgruppe zu verbessern. Zu lan-
ge ist der psychiatrische und psychotherapeutische Zugang zu Kindern
unter 5 Jahren vernachlässigt worden, als ob bei Kindern, die noch nicht
richtig sprechen können, psychische Gesundheit und Krankheit keine
Rolle spielen. Mittlerweile wissen wir, dass psychische Störungen in
den ersten 5 Lebensjahren mindestens so häufig sind wie in späteren
Entwicklungsphasen. Wir müssen unsere Wahrnehmung psychopatho-
logischer Phänomene entwicklungs- und kultursensitiv gestalten und
der Tatsache Rechnung tragen, dass gerade in den ersten Lebensjahren
individuelle Störungen in ganz besonderer Weise in das Beziehungsge-
schehen zwischen Säugling und seinen primären Bezugspersonen einge-
bettet sind. Entsprechend müssen unsere therapeutischen Ansätze auch
beziehungsorientiert sein. Wenn man diesen Besonderheiten Rechnung
trägt, sind diagnostische Klassifikationssysteme, Behandlungsleitlinien
und innovative Behandlungsformen für die frühe Kindheit mindestens
ebenso wichtig wie für alle anderen Altersstufen.
Kai von Klitzing